Paralympics 2004

01. Oktober 2012

Das Behindertensportreiten war in Athen zum dritten Mal (nach Atlanta) eine Disziplin der Paralympics. Es waren 70 Reiter aus 11 Nationen am Start. Training und Wettkämpfe fanden im Olympic Equestrian Centre bei Markopoulo statt. Dies liegt ein Stück außerhalb Athens und über 40 km vom Olympischen Dorf entfernt. Die Anlage ist riesig, alles in allem über 900.000 qm groß mit 300 Ställen. Insgesamt waren in Sydney 136 Nationen vertreten mit nahezu 4000 Athleten. Damit sind die Paralympics die zweitgrößte Sportveranstaltung der Welt nach den Olympischen Spielen.

Das deutsche Team

Das deutsche Team, das am 10. September 2004 nach Athen flog, bestand aus 5 Reiterinnen (Hannelore Brenner (Grade 2), Bettina Eistel (Grade 3), Britta Näpel (Grade 2), Angelika Trabert (Grade 2), Bianca Vogel (Grade 3)), der Teamchefin (Inga Holdt-Mencke), dem Bundestrainer (Franz-Martin Stankus), der Physiotherapeutin (Ilka Nowottn), den Betreuern (Verena v. Blücher, Heinrich Brähler, Marc Coumans, Susi Fieger, Gianni Scadutto, Nadine, Schoffelke, Barbara Srna) und den Vierbeinern (Aaron, Fabiola, Loverboy, Roquefort, Walmorel).

Mein ganz persönliches Erlebnis der Spiele

Nichts kann die Paralympics 2004, so wie ich sie erlebte, besser beschreiben als die Mails, die ich regelmäßig aus Athen schrieb. Ich glaube, sie geben einen sehr genauen Einblick von den Ereignissen während der Spiele.

 

Mail 1 vom 14.September 2004

Hallo,

hier ganz frisch ein paar Eindrücke aus Athen.Vom olympischen bzw. paralympischen Dorf, von der Reitanlage, von unserem Team, unserem Training, unserem Tagesablauf und der Stimmung allgemein. Das olympische Dorf ist sehr groß, das Essenszelt ebenfalls (mit sehr vielen Essensvarianten) und erstaunlicherweise ist alles ziemlich rollstuhlgerecht. Wenn nicht gerade wieder der Fahrstuhl streikt. Wir 5 Reiterinnen (Anne Schricker ist leider ganz kurzfristig wegen einer Sehnenerkrankung ihres Pferdes ausgefallen) sind in einer Wohnung untergebracht. Das ist toll und stärkt das Teamgefühl. Vor allem die Abende auf unserem gemeinsamen Balkon mit reingeschmuggeltem Wein. Apropos Schmuggeln: Der Aufwand für unsere Sicherheit ist überall gigantisch. Zwar für uns manchmal etwas nervig, aber wir sind auch sehr froh darüber. Nach einer dreiviertel Stunde Busfahrt erreichen wir jeden Tag die Reitanlage in Markopoulo. Frühmorgens natürlich. Wir sind ja schließlich nicht zum Spaß hier. Diese Anlage schlägt alles, was wir bisher gesehen haben. Sie liegt wunderschön in sanften Hügeln und ist in jeder Hinsicht genial. Riesenboxen, Super-Reitplätze mit sehr guten Böden, viel Platz für unsere Schränke, viel Wind, dadurch wenig Fliegen. Paddocks zum Relaxen für unsere Pferde und und und. Die Grooms sind hier vor Ort in Wohn-Containern untergebracht. Das Hauptstadion ist einfach nur gigantisch. Noch größer und noch schöner als in Sydney. Und unsere Pferde? Unsere Pferde sind schlicht traumhaft. Schon beim Flug waren sie angeblich die bravsten. Hier laufen sie durch die Schleuse mit den Riesenventilatoren, als würden sie es täglich tun. Der Wind stört sie überhaupt nicht und sie werden ausnahmslos alle von Tag zu Tag besser im Training. Die Prüfungen sind jetzt noch 6 Tage entfernt und wir sind ganz sicher auf einem guten Weg. Das müssen wir allerdings auch. Denn die Konkurrenz ist so stark wie noch nie. Wir sehen wirklich jede Menge gute Pferde. Da müssen wir auch wirklich ranklotzen.Allerdings war bei uns auch die Stimmung noch nie so gut. Ausgeglichen und harmonisch. Untereinander und auch zwischen der Teamleitung und den Reiterinnen. Die Grooms sind alle super-super-gut und unsere Pferde dadurch in besten Händen. Wir alle zusammen sind eine tolle Gemeinschaft. Und ich denke, dass uns das sehr stark machen wird!

Zum ersten Mal haben wir eine tolle Ausstattung, die uns auch nach außen hin als Team sichtbar macht. Wir sind total glücklich, dass wir so viele Firmen für uns gewinnen konnten, die uns genau das damit ermöglichen. Jeden Tag sprechen wir uns ab, was wir am nächsten Tag anziehen. Der passende Spruch dazu: “Wie lautet die Parole?” – “Die Parole lautet rot”.

Alles in allem fühlen wir alle uns sehr sehr wohl. Es gelingt uns tatsächlich, neben der Arbeit noch viel Spaß zu haben und wir grüßen das verregnete Deutschland ganz herzlich aus einem warmen, sonnigen Griechenland.

Für
Geli Trabert,
Britta Näpel,
Bettina Eistel,
Bianca Vogel,
die Teamleitung, alle Grooms

 

Mail 2 vom 18.September 2004

Hallo Ihr Lieben,

bei 26 Grad und z.Zt. viel Wind fiebern wir weiter den Wettkämpfen entgegen. Gestern war die Eröffnungsfeier und somit sind wir jetzt offiziell in der Wettkampfphase. Die Eröffnungsfeier war wunderschön. Eine supertolle Lightshow mit einem riesigen Baum in der Mitte des Stadions, der über die verschiedenen Anstrahlungen die vier Jahreszeiten dargestellt hat mit etwa 100 Tänzern drumherum. Ein gigantisches Feuerwerk hat dann letztlich die Fackel entzündet und die Spiele eröffnet. Die Stimmung war klasse, 136 Nationen mit fast 4000 Athleten sind einmarschiert. Ich bin heute heiser… Sehr auffällig ist, dass wir überall total freundlich empfangen / behandelt werden und in der Stadt selbst ganz viel positive Resonanz erfahren dürfen. Unsere Erwartungen waren nicht allzu hoch, was die Organisation und die Akzeptanz betrifft und wir sind somit positiv überrascht. Die Organisation ist spitze. Und zwar egal, was man tut. Sowohl im paralympischen Dorf als auch hier auf der Reitanlage und auch die Transporte zwischen den Stätten betreffend. Wir sind schlicht begeistert. Dies ist bei den anderen Sportarten sehr ähnlich. Morgen früh ist der Vet-Check und übermorgen beginnen dann die Wettkämpfe mit der Warm up. Wir alle fühlen uns fit und sind sehr optimistisch. Für die Pferde ist es hier fast wie in der Sommerfrische. Der Nachteil für mich ist lediglich, dass Stuti nicht ein Gramm ihres Bauches verlieren mag. Aber was soll’s. Wir werden’s auch so hinkriegen :).

Viele liebe Grüße vom ganzen Team.
Hanne Brenner

 

Mail 3 vom 22.September 2004

Hallo Ihr Lieben,

es fällt mir nicht ganz leicht zu schreiben, aber ich weiß, dass einige von Euch schon ganz dringend auf Nachricht warten.

Heute morgen kam Fabiola stockelahm aus der Box. Sie hat eine Huflederhautentzündung. Es ist der wohl ungünstigste Tag, den man sich vorstellen kann, weil die Prüfung heute auch für das Team zählte. Eventuell haben wir noch die Chance, dass sie übermorgen für die Kür wieder läuft. Allerdings mit 1000 Fragezeichen… Die Warm up vorgestern haben wir mit über 74 Prozent überlegen gewonnen und sie lief die letzten 10 Tage wie noch nie in ihrem Leben. Noch nie war ich so sicher, Gold zu gewinnen. Aber es hat nicht sollen sein. Fabiola geht es inzwischen wieder besser. Die Schmerzen sind nicht mehr so stark. Nun aber zu den anderen. Gestern haben Bianca Vogel Silber und Bettina Eistel Bronze im Individual Championship für Grade 3 geholt. Das war ein toller Erfolg. Heute in Grade 2 ist es leider nicht ganz so gelaufen. Angelika Trabert kam auf den 5. Platz und Britta Näpel auf Platz 9.

Hier hatten wir uns sicher alle mehr erhofft, aber die Konkurrenz ist sehr groß und die Pferde der anderen Nationen sind super. Morgen reitet Grade 3 die Kür. Wir hoffen auf weitere Medaillen dort. Ich werde Euch auf dem laufenden halten. 

Viele Grüße
Hanne Brenner
P.S. Sowohl unsere Mannschaft als auch alle anderen Nationen sind superlieb zu mir und ehrlich betroffen. Das ist sicher etwas, was niemandem gewünscht wird und genau das zeigen mir auch alle.

 

Mail 4 vom 24. September 2004

Hallo Ihr Lieben,

die Einzelentscheidungen sind gefallen. Was für ein Wechselbad der Gefühle. So eine Achterbahn habe ich bisher noch nie erlebt. Nachdem Bettina Eistel gestern mit Aaron in der Kür Silber holen konnte, waren heute die Grade 2 Reiter am Start.

Bis Donnerstag morgen hatte ich noch die Hoffnung, dass Fabiola soweit in Ordnung kommen würde, dass wir die Kür reiten können. Leider ist dieser Wunsch nicht in Erfüllung gegangen. Ich war total am Boden zerstört, war das doch der Strohhalm, an dem ich mich festgehalten hatte. Dann hat sich allerdings gezeigt, dass wir wirklich ein Klasse-Team sind. Bianca Vogel und Bettina Eistel erklärten sich spontan bereit, dass ich ihre Pferde ausprobieren dürfe. Dies war möglich, weil Fabiola schon vor dem ersten Start erkrankt war und wir einen Wechsel frühzeitig ankündigten. So probierte ich Aaron von Bettiina und Rocky (Roquefort) von Bianca aus und kam sofort super mit Rocky zurecht. Dieses Pferd ist sehr willig, super ausgebildet und sehr schön geritten, so dass er die Umstellung auf mich sehr gut verkraftet hat. Er ist zudem mit seinen 1,85 m Stockmaß eine imposante Erscheinung. Heute, am Freitag begann dann Angelika Trabert mit ihrer Stute Walmorel und zeigte eine tolle Leistung. Trotz Unruhe im Stadion und somit Unruhe bei dem Pferd war der Ritt superstark und sie bekamen 71 Prozent dafür. Als nächste deutsche Starterin war dann ich an der Reihe. Ohne jeden Erwartungsdruck ging ich locker in die Prüfung und ritt mit Rocky Fabiola’s Kür. Durch seine Größe und Fabiolas große Übersetzung passte die Musik fast wie für ihn gemacht. Er ging locker und schön und wir bekamen rund 76 Prozent dafür. Nur noch eine Schwedin mit einem wirklich wunderschönen Pferd konnte uns schlagen. So bekamen wir die Silbermedaille. Nie, nie hätte ich damit gerechnet. Es ist schon unglaublich, was die Pferde für uns tun.Und trotz dieses tollen Ergebnisses habe ich wirklich geheult, als ich an Fabiola vorbei zu Rocky gegangen bin. Wie gerne hätte ich mit ihr die Kür geritten… Britta Näpel ging mit Loverboy an den Start und hat ihn wunderbar vorgestellt. Loverboy ist zur Zeit nicht ganz fit und Britta hat wirklich alles aus ihm rausgeholt, was möglich war. Der Lohn waren über 72 Prozent und eine Platzierung.

Gestern in der Kür hat Bettina Eistel, fast schon wie gewohnt, eine tolle Kür gezeigt. Mit einer so super passenden Musik. Nur eine Engländerin, die total korrekt, fehlerfrei und schön ritt, wurde Bettina geschlagen.

Bianca hatte in ihrer Kür sehr viel Probleme mit ihren Schmerzen in der Hüfte und kam deshalb überhaupt nicht zum Reiten. Sie musste etwa bei der Hälfte der Kür abbrechen. Das war schlimm für sie und für uns alle. Ich bin aber sicher, dass sie sich bis Sonntag zur Teamaufgabe wieder erholt hat und dort wieder, wie schon bei der Silbermedaille in der Pflicht, super reiten wird.

Am Samstag mittag wird das ARD einen Bericht von hier bringen und Bianca und ich werden als Studiogäste dorthin eingeladen. Übrigens ist der Bundeskanzler zur gleichen Zeit im Studio.

So, das war’s dann erstmal.
Viele Grüße aus dem immer noch sehr warmen Athen.
Hanne Brenner

 

Mail 5 vom 26.September 2004

Hallo,

wir kommen hier in Athen einfach nicht zur Ruhe. Die meisten von Euch werden die folgende Info wohl schon gestern vom Fernsehen bekommen haben. Für diejenigen, die jedoch nicht nachmittags geschaut haben, gebe ich eine kleine Zusammenfassung der Ereignisse per Mail. Wie ja angekündigt, waren Bianca und ich gestern im ARD-Studio eingeladen. Die beiden Tage zuvor war das ARD hier vor Ort und hat meine Vorbereitung auf Rocky und letztlich den Ritt in der Kür gefilmt und kommentiert. Gestern mittag rief ich Heinz Kampmann, den Besitzer von Fabiola an, um zu fragen, ob er etwas speziell im Fernsehen erwähnt haben möchte. Es kam mir schon etwas seltsam vor, dass er mir nicht zur Silbermedaille gratulierte. Er erklärte mir, dass ich Fabiola sofort, wenn wir in Deutschland wären, nach Telgte in die Klinik fahren müsse!  Das allein hätte ich vielleicht noch nicht so auffällig gefunden, aber er war kurz angebunden und irgendwie komisch. So fragte ich, was denn mit Fabiola nach der Klinik werden würde. 

Die Antwort im O-Ton: Hanne, Du wirst dieses Pferd nie wiedersehen. Ich stelle es auf die Koppel oder gebe sie vielleicht in Beritt, Du wirst sie jedenfalls nicht wiedersehen… Ich beendete das Telefonat und war am Boden zerstört. Die meisten von Euch kennen ja Fabiola und auch mich und können ahnen, was in mir zerbrach. Ich wollte daraufhin natürlich nicht ins Studio. Aber nach einer Stunde stand fest, dass sowohl meine Teamleitung als auch die Leute von der ARD es als notwendig erachteten, diese Geschichte wahrheitsgetreu live zu senden. Sie riefen Heinz Kampmann an und fragten ihn, ob er während der Sendung telefonisch Stellung beziehen wolle. Er wollte aber nicht. Tja, und das ist der momentane Stand. Ich werde mein Traumpferd auf deutschem Boden nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ich trauere unendlich um den Verlust dieses wunderbaren Pferdes, das mir 2 1/2 Jahre lang nur Freude und sein Vertrauen geschenkt hat. Ich weiß, dass ich so ein Pferd nie wiederkriegen werde, bin aber glücklich, dass ich diese Zeit mit ihr hatte.

Liebe Grüße aus Athen,
Hanne Brenner

 

Mail 6 vom 27. September 2004

Hallo noch einmal,

morgen ist die Abschlussfeier, deren Realisierung hier z.Zt. noch in den Sternen steht, weil es heute ein Busunglück gegeben hat und noch nicht feststeht, ob und wie morgen die Abschlussfeier aussehen wird.

Eine Information steht indessen noch aus. Unser Team hat es nämlich geschafft, trotz aller Widrichkeiten gestern Silber zu holen. Bettina, Bianca und Britta haben Nerven bewiesen und alles gegeben. Das bedeutete dann tatsächlich Silber hinter den Engländern, die uneinholbar vorne lagen. Da ich ebenfalls für das Team gemeldet war, als Fabiola noch in Ordnung war, habe ich das Glück, auch eine Silbermedaille bekommen zu haben. Ich danke den dreien sehr, dass sie mich nicht nur mit ihrem Ritt sehr mitgetragen haben.Bronze in der Teamwertung erhielt Holland. Morgen früh um 3 werden unsere Pferde im Stall abgeholt und um 6 hiesiger Zeit werden sie fliegen. Wir hoffen natürlich, dass sie einen ruhigen Flug haben werden. Ich musste mich heute von Fabiola verabschieden, was ich wie ich wohl nicht näher erläutern muss, sehr schwer fiel.

Ich wünsche ihr, dass sie in Hände kommen wird, die diesen wunderbaren Charakter und dieses tolle Pferd zu würdigen wissen. So, ihr Lieben, das war´s nun aus Athen. Vielleicht sehen wir uns ja bald in Deutschland oder hören voneinander.

Viele Grüße von Hanne Brenner
PS. Gott-sei-Dank gibt es die Paralympics nur alle 4 Jahre. Ich würde es öfter ganz sicher nicht aushalten. Und ich glaube, das geht mit nicht alleine so.