Vom Schicksal gezeichnet – von der Liebe zu Pferden geprägt
14. April 2016Hanne Brenner wurde 1963 in Lüneburg geboren und wusste schon mit sieben Jahren, dass Pferde eine ganz besondere Rolle in ihrem Leben spielen sollten. Die Einheit Pferd und Reiter hat sie von klein auf fasziniert, die Harmonie, die zwei Lebewesen eins werden lässt, begeistert in ihren Bann gezogen. Ihr „Reiterleben“ begann aber erst mit 12 Jahren, als ihre Eltern Hanne nach jahrelangem Drängen eine erste Reitstunde schenkten.
Mit 18 Jahren fand sie dann den Weg in die „Vielseitigkeit“, die sie bis heute fasziniert, weil sie alle Facetten des Reitsports abdeckt und eine ganz intensive Bindung zum Pferd fordert. Und genau in dieser Sparte des Reitsports sollte die Wende zu einem völlig neuen Leben erfolgen. Im Oktober 1986 ritt Hanne Brenner im Rahmen einer Landesmeisterschaft eine lange L-Vielseitigkeitsprüfung in Luhmühlen (südlich von Hamburg) und stürzte am Ende der Querfeldeinstrecke so schwer, dass sie sich den ersten Lendenwirbel brach und seitdem inkomplett querschnittgelähmt ist. Das bedeutete, dass bei dem Unfall nicht alle Nerven im Rückenmark zerstört wurden, sondern nur ein Teil. Hierdurch ist sie noch in der Lage, mit Hilfe von Stöcken und Schienen, bzw. Spezialschuhen, zu laufen.
Fünf Monate Krankenhausaufenthalt inklusive Reha waren die Folge. „Ich hatte ja quasi meine komplette Identität verloren und musste die erst wieder neu finden“, lässt sie die Zeit Revue passieren. Doch mit ganz viel Lebensmut und einem unbändigen Willen packte Hanne Brenner, die erst kurz zuvor ihre Ausbildung als Augenoptikerin abgeschlossen hatte, ihr neues Leben an. Dabei hat sie unglaublich viel erlebt.
Insgesamt hat sie in den letzten 17 Jahren 39 internationale Medaillen gewonnen. Ende 2007 ist Dorte Christensen als Trainerin, Beraterin, Vertraute und Lebenspartnerin in Hannes Leben getreten. Mit ihr lebt sie auf der Reitsportanlage (Stall Magic) in einem kleinen Örtchen in Rheinhessen, zusammen mit ihren Pferden, Hunden und Katzen. Durch Dorte konnte Hanne Brenner reiterliche Ziele erreichen, die sie sich niemals zuvor hätte vorstellen können. Seit die beiden zusammen trainieren, hatte Hanne sehr beständige und tolle Erfolge im Behindertensport und im Regelsport (also gegen „normale“ Reiter) und ist sogar bis zur Klasse S erfolgreich- das ist zwei Klassen höher, als vor ihrem Unfall! Hanne Brenner hat durch und mit Dorte Christensen das Reiten und den Umgang mit den Pferden viel intensiver, professioneller und auch besser erleben dürfen, als je zuvor.
Auch beruflich veränderte sich viel für die Diplom-Betriebswirtin. Im Jahr 2009 verließ Hanne ihren bisherigen Arbeitgeber, die Telekom, und wechselte zu Lotto Rheinland-Pfalz. Lotto ist der größte Sportförderer im Land und war ihr daher schon viele Jahre gut bekannt. Hier zu arbeiten ist für sie ein großes Glück und es hat sich in vielerlei Hinsicht bewährt: „Ich werde unterstützt in allen Belangen meines Sports, bekomme frei, wenn Championate, Trainingswochenenden etc. anstehen und stoße immer auf das Verständnis meiner Kolleginnen, wenn mein Sport mich zu irgendwelchen Aktionen zwingt. Zudem habe ich hier meine wirkliche “Berufung” gefunden. Ich unterrichte Menschen, die in Lotto-Annahmestellen arbeiten möchten und stelle fest, dass ich mich als “Trainer” richtig wohl fühle. Ich habe rundum das Gefühl, vollständig als Behinderte in unserer Gesellschaft integriert zu sein und ich bin der Überzeugung, dass Integration bei den Betroffenen selbst beginnt. Wenn wir mit unserem Handicap normal umgehen, tut dies auch unsere Umwelt. Und das sehe ich auch als Verantwortung und als meine Aufgabe.“ So schildert Hanne begeistert ihren beruflichen Werdegang.
Umringt von Weinbergen in Wachenheim findet man die Reitanlage von Dorte Christensen mit Ställen, Halle und großzügigem Außenplatz. Auf dem Rücken ihres Erfolgspferdes, der inzwischen 20-jährigen Hannoveraner Stute „Women of the World“, fühlt sich die vierfache Paralympics-Siegerin am wohlsten. Hier in Rheinhessen werden Hannes sportliche Erfolge erarbeitet, wird trainiert, bis das Trio aus Pferd, Trainerin und Reiterin Nach der Reha und dem gescheiterten Versuch, ihr Leben so weiterzuführen wie es vor dem Unfall war, bekam sie Ende 1989die Chance, in Heidelberg BWL zu studieren. „Das war wohl das Beste, was mir passieren konnte! Hier begann ein völlig neues und aufregendes Leben für mich. Das Reiten wurde verglichen mit dem Rollstuhlbasketball, den ich damals sehr intensiv betrieb, immer mehr zur Nebensache, wenn es auch nie völlig weg war. „Ich konnte einfach nicht ohne Pferde leben!“, erzählt Hanne Brenner aus ihrer Zeit nach dem Unfall.
Schon in ihrer alten Heimat Lüneburg begann sie, Rollstuhlbasketball zu spielen, was sie in Heidelberg fortsetzte. Sie kam mit einer gemischten Mannschaft bis in die 2. Bundesliga und in die B-Nationalmannschaft der Damen. „Die Heidelberger Zeit war extrem wichtig für mich. Rückblickend betrachtet brauchte ich wohl diesen Unfall, um meinem Leben eine neue Wendung zu geben“, ist sie sich sicher. Vor allem habe sie damals gemerkt, dass man sein Leben selbst in die Hand nehmen muss. „Klar, es gab einige Sachen, die ich nach dem Unfall nicht mehr machen konnte. Aber es gab eben auch viel mehr Dinge, die noch gingen. Und warum sollte ich mich dann darüber aufregen, was eben nicht mehr geht.“
1997 kaufte sie ihr erstes eigenes Pferd, den Halbaraber Geronimo, und schon 1998 kam sie in den B-Kader der Dressurreiter mit Behinderung und durfte 1999 bei ihrer ersten Weltmeisterschaft in Arhus, Dänemark dabei sein. Seitdem war sie auf allen Championaten, egal ob Paralympics, Weltmeisterschaften und Europameisterschaften erfolgreich.
Deutschlands erfolgreichste Para-Dressurreiterin Hanne Brenner mit ihrem Pferd “Women of the World” 2015 ihrem jeweils definierten Ziel sehr nah gekommen sind. Die zwei sind ein eingeschworenes Team, das sich ohne viele Worte versteht und somit das Training ganz leicht, fast spielerisch wirkt. Die bunte Fuchsstute scheint dabei in jeder Phase, jeder Lektion, nicht nur unheimlich locker, sondern zudem hoch konzentriert bei der Sache zu sein. „Sie ist einfach extrem leistungsbereit und hat richtig Spaß an der Arbeit“, charakterisiert Hanne Brenner ihre vierbeinige Partnerin. Eigenschaften, die unerlässlich sind für ein Pferd, das im Behindertenreitsport erfolgreich gehen soll, wie die 52-Jährige erklärt. Überhaupt unterscheiden sich die Anforderungen, die sie an einen Sportpartner stellt, gar nicht so sehr von den Anforderungen für ein Turnierpferd für den Regelsport. „Was wir gar nicht gebrauchen können, sind Pferde, denen man jeden Tag wieder neu erklären muss, um was es hier eigentlich geht. Oder Pferde, die man irgendwohin drücken muss. Denn das kann ich ja nicht“, erläutert sie.
Hanne Brenner ist sehr froh und stolz, in der Region viel Anerkennung zu ernten. Aktuell ist sie das wohl älteste und langjährigste Mitglied von „Team Rio“ der Sportregion Rhein-Neckar. Hier werden Sportler mit guter Perspektive für Rio super unterstützt und der Bevölkerung näher gebracht. Fast nebenbei lernen sich die Sportler auch noch gegenseitig besser kennen und bekommen dadurch viel mehr Verständnis füreinander, egal ob sie aus Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg oder Hessen kommen. Vollständig anerkannt und integriert fühlt sie sich nicht nur bei ihrem Sport, sondern auch in der Gesellschaft. „Klar, die Sicherheit und das gute Gefühl, das ich habe, habe ich zum Teil auch durch die Erfolge. Aber ich bin vom Grundsatz her ein positiver Mensch und ich bin überzeugt davon, dass jeder etwas hat, was er besonders gut kann und diese Eigenschaft nur finden muss.“
Doch sportlicher Erfolg ist für Hanne Brenner noch nicht genug im Leben. Sie möchte etwas zurückgeben von dem, was sie in den letzten Jahren bekommen hat, etwas für Kinder tun, die nur noch einen kurzen Lebensweg vor sich haben. So hat sie zusammen mit Freunden 2013 einen Verein, die „kleinen Glücksritter“ gegründet, um schwerkranken Kindern und ihren Geschwistern die Möglichkeit zu geben, schnell und unkompliziert und in Wohnungsnähe mit dem Pferd in Kontakt zu treten. Hierfür ist inzwischen ein Netzwerk mit über 100 Pferden und über 100 Kindern entstanden, das immer größer wird und am Ende vielleicht über ganz Deutschland reicht. Denn sie ist sich sicher: „Jede Stunde, die man einem solchen Kind schenken kann, ist für sie ein halbes Leben. Man gibt ihnen damit so viel Lebensqualität und Kraft, das ist echt beeindruckend.“
Beeindruckend, das ist auch die sportliche Bilanz der Reiterin aus Wachenheim, die nicht nur im Behindertenreitsport sondern ebenso im normalen Turniersport Siege und Platzierungen sammelt. Ein erfolgreicher Wettkampf jagte den nächsten, bis hin zum zweimaligen Doppelgold (und viermal Silber) bei den Paralympics. „Ich hatte immer den Traum von einer S-Platzierung, weil ich nie gedacht hatte, dass ich einmal S-Dressur reiten können würde. So war 2011 mein S-Sieg in Mannheim-Neckarau für mich bestimmt so hoch zu werten wie ein Paralympic-Sieg. Ich hätte nie damit gerechnet, mit meiner Behinderung so weit zu kommen und bin auf diese Erfolge sehr stolz“, sagt sie. Das Erfolgs-Trio Brenner, Christensen und “Women of the World” beim Maimarkt-Tunier 2014 In diesem Jahr hat das Trio Hanne, Dorte und „Women of the World“ bei der Europameisterschaft in Deauville, Frankreich noch einmal Doppelgold und Teambronze geholt. Damit haben sie zusammen 27 internationale Medaillen erritten. Von den 18 Einzelmedaillen waren 13 aus Gold. Damit ist die Stute das erfolgreichste Para-Pferd der Welt.
Auf jeden Fall ist es eine Empfehlung für die Paralympics im nächsten Jahr in Rio. Dann ist die Stute 21 Jahre alt. „Sie entscheidet selbst, wann sie in Rente gehen will“, lacht Hanne Brenner. „Aber im Moment sieht es noch gar nicht so aus.“ Ohnehin sei ihr Erfolgspferd nicht zu ersetzen, doch hofft sie, dass sie mit ihrem Nachfolger an die Erfolge anknüpfen kann. Der steht schon im Stall, heißt Kawango und ist ein zehnjähriger Trakehner Wallach. „Kiwi“ wird der Fuchswallach im Stall genannt, weil er bei seiner Ankunft vor ein paar Jahren etwas „rund“ war, rotbraunes Fell hatte und noch grün (hinter den Ohren) war. Kiwi war mit Hanne im letzten Jahr schon Deutscher Meister und Reserve für die Weltreiterspiele. Dieses Jahr sollte er groß auftrumpfen, verletzte sich aber im Frühjahr und kam somit doch nicht so zum Einsatz. Aber jetzt ist er wieder fit und einsatzbereit. Außerdem steht seit Mai dieses Jahres eine 5-jährige Stute im Stall in Wachenheim, die Hanne von ihrem Züchter Peter Moskopp aus Kettig zur Verfügung gestellt wird. Sie ist ein sehr gutes Pferd, das sicher in den nächsten Jahren von sich reden machen wird.
Diese Art der Kooperation ist neu und hoffentlich ein positives Beispiel dafür, dass Reiter mit Handicap Pferde von Züchtern gut und erfolgreich reiten und vorstellen können und der Weg in den internationalen Sport gar nicht so lang ist. Auch hier ist die Zusammenarbeit mit Dorte Christensen gerade in der Ausbildung natürlich extrem notwendig und auch schon sehr erfolgreich. “Pferde, die von Dorte ausgebildet und trainiert werden, sind einfach genial nachzureiten. Das wissen inzwischen viele Reiter, die bei Dorte trainieren. Egal, ob im Spring- oder im Dressurreiten.“
Hanne Brenner ist Deutschlands erfolgreichste Para-Dressurreiterin, ihr Pferd „Women of the World“ das erfolgreichste Para-Dressurpferd. Trotzdem sucht man Starallüren vergebens, und zwar bei beiden. Ein vielzitierter Satz von Hanne Brenner ist: „Behindert ist nur der, der sich selbst behindert.“ Mehrfach hat sie sogar gesagt, dass sie nicht mehr tauschen wollte mit ihrem Leben vor dem Unfall. Das sind Aussagen, die man erst nicht so recht glauben will, aber wenn man ihre Schilderungen aufmerksam verfolgt, kann man deutlich heraushören, dass ihr Leben seitdem intensiver und erfüllter ist, als es zuvor war. Wie sehr können ihre An – und Einsichten all jeden weiterhelfen, die an ihren körperlichen Gebrechen zerbrechen, die verzweifeln und resignieren. Mit welch unbändiger Energie die Frau mit dem großen Herz für Mensch und Tier ihr Leben meistert, ist ein wunderbares Beispiel dafür, was Menschen durch Überzeugung und mentaler Kraft leisten können, wenn sie nur wollen. Hier zeigt eine Frau mit einer Behinderung mehr Lebensfreude, als viele Menschen ohne eine solche- und das sollte uns zu denken Geben, damit wir die Prioritäten in unseren Leben neu setzen…
Bericht: Thomas Henne